Warum 360 Grad Film nicht funktioniert…
In den letzten Jahren ist eine Anfrage bei Filmproduktionen immer häufiger geworden – es geht dabei um 360 Grad Filme. Sie sollen ein neues Zeitalter für Filme einleiten und den “alten Film” Stück für Stück verdrängen. Doch gibt es einige Probleme, die das Erstellen und das Konsumieren eines 360 Grad Filmes mit sich bringt, die dem 360 Grad Film auf seinem vermeintlichen Siegeszug gegen den klassischen Film im Weg stehen.
360 Grad ist nicht VR
Zunächst muss geklärt werden was 360 Grad Video überhaupt ist. Bei 360 Grad Video wird aus mehreren Kameras, die zusammen in einem 360 Grad rig in einem dreidimensionalen Raum miteinander verbunden sind ein 360° Bild zusammengestellt. Dieses Videomaterial erlaubt es dem Betrachter sich frei in diesem Raum umzusehen – Wohlgemerkt umzusehen – nicht aber zu bewegen. Dabei entsteht eine flache Videosphäre, die mit einer VR Brille betrachtet werden kann.
Was viele Agenturen und auch Kunden vergessen ist, dass 360 Grad Video nicht VR(Virtual Reality) ist. VR wird im Gegensatz zu 360 Grad Video stereoskopisch aufgenommen, d.h. dass mit zwei Kameras der Abstand zwischen den Augen nachempfunden wird und somit beim Betrachten mit einer VR-Brille oder einem 3D fähigem Fernseher eine Räumlichkeit entsteht, die der Realität ähnlich kommt. Ob und inwiefern damit ein “Wow”-Effekt erzeugt werden kann, sei an der Stelle mal außer Acht gelassen.
Problem 1 beim 360 Grad Video: Weitwinkel Objektive
Bei VR ist die Wahl der Linsen egal, es müssen nur zwei identische Linsen sein z.B. zweimal 50 mm mit der gleichen Kamera dahinter. Bei 360 Grad Film ist das Problem der Platz, den das 360 Grad Rig braucht. Da Kamera und Linse physisch einen bestimmten Platz brauchen können 360 Grad Rigs enorme Größen annehmen
Um diesem Problem entgegen zu wirken benutzt man kleine Kameras mit Weitwinkelobjektiven. Weitwinkelobjektive haben zwar den Vorteil, dass man maximal viel Bild auf den Sensor bekommt, allerdings neigen Weitwinkel Objektive dazu den Vordergrund viel Größer wirken zu lassen als den Hintergrund und verzerren so die Realität. Dadurch wirkt alles, was der Kamera nahe ist riesenhaft im Vergleich zum Hintergrund.
Als DOP kann man nicht mehr über die Wahl der Linsen das Bild gestalten – ein Stilmittel, dass DOPs seit Beginn des Films benutzen, um gezielt Emotionen beim Betrachter hervorzurufen. Dies birgt ein enormes gestalterisches Defizit, was der traditionelle Film dem 360 Grad Video voraushat.

Problem 2 beim 360 Grad Video: Kein Schnitt
Eine Limitation, die noch aus den alten Tagen des Films stammt, in dem der Filmrolle eine maximale Länge hatte und man nicht auf Festplatten aufgezeichnet wurde, machte es zu einer Notwendigkeit Filme zu schneiden. Mit der Zeit merkte man aber dass Schnitt mehr als nur eine Notwendigkeit ist. Man kann damit Orte überwinden, Zeit strecken, Zeit raffen, Spannung aufbauen, Inhalte suggerieren und Vieles mehr. Der Schnitt wurde zu einem der wichtigsten Stilmittel im Film – nicht ohne Grund hat der Schnitt auch einen eigenen Oscar bekommen!
Und hier kommt 360 Grad Video. Wir wollen damit eine möglichst immersive Welt erschaffen, die der Realität nahe kommen soll … und Schnitt …. wir sind an einem anderen Ort. Immersion? Wohl kaum. Es spricht gegen die Natur des 360 Grad Videos, dass geschnitten wird, da es die Emersion bricht. Man kann im 360 Grad Film nicht einfach schneiden, um zum Beispiel näher an ein Detail heranzukommen, um es besser zu sehen.
Problem 3 beim 360 Grad Video: Ton
Ein Film – egal ob konventionell oder 360 Grad Film – wird hauptsächlich über Ton definiert. Wir können viel leichter schlechte Videoqualität akzeptieren, als schlechten Ton zu ertragen. Um es in Prozentzahlen auszudrücken: Beim Film kommt es zu 70% auf den Ton an.
Wie nimmt man nun aber Ton bei einem 360 Grad Video auf? Denn, wie wir uns erinnern gibt es in einer Kugel kein “hinter der Kamera” oder “außerhalb des Bildrandes”, denn alles ist potentiell zu sehen. Die einfachste Variante ist es, ein Omnidirektionales Mikrofon in das Kamerarig zu stellen und so den ton aufzunehmen. Das führt dann zu einem halligen, unfassbar schlechten und raumbetonten Klangerlebnis – absolut unprofessionell. Man könnte aber auch eine Mischung aus versteckten Lavalier Mikrofonen und einem Mikrofon im Kamerarig machen. Das würde zumindest Dialoge verständlich machen und man hätte die Möglichkeit Ton zu mischen, wie man es braucht.
Die Wohl beste Möglichkeit ist die eines “3D” Mikrofons, und versteckten Lavalier Mikros. Dadurch hat man auch noch die Verortung im 3D Raum durch das 3D Mikro und kann die Personen dann noch relativ zu Ihrer Position im 360 Grad Film aufstellen. Dies ergibt zwar mit Abstand den Besten Ton, sorgt aber aufgrund des teuren Produktionsaufwandes mit vielen Mikrofonen und der teuren Postproduktion für Enorme Produktionskosten. Wieder ein Vorteil für den konventionellen Film.
Problem 4 beim 360 Grad Video: Blicke lenken
Der Große Vorteil bei 360 Grad Film ist die riesen Freiheit, die dem Betrachter zugeteilt wird. Er kann zu welchem Zeitpunkt auch immer er will hinschauen wo immer er will. Das ist toll! Nur hat Film damit ein Problem, denn im Film werden Geschichten erzählt, die einem linearen Erzählprinzip folgen. Als Filmmacher ist es unsere Aufgabe den Blick des Betrachters darauf zu lenken, was er sehen muss und/oder darf.
Damit haben schon die Großen des Films wie Hitchcock bewusst gespielt und haben so Stilmittel wie Suspense erst erschaffen.
Wenn wir als Filmmacher den Blick des Betrachters nicht mehr lenken können, wie sollen wir ihm denn genau das zeigen, was er sehen soll? Wie soll er den Schlüssel sehen, der auf der Kommode liegt, wenn er sich aber viel lieber das Gemälde am anderen Raum des Bildes anschaut?
Dies ist in meinen Augen das größte Problem, dass 360 Grad Video hat. Mit der Freiheit des Betrachters kommt die Problematik, dass wir im 360 Grad Filmeigentlich nicht mehr nur eine Story erzählen können. Denn der Zuschauer erfindet und erfährt seine Story selbst. Es ist also ein komplett neues Genre an Film, welches mehr einem Videospiel ähnelt als einem Film. Bisher habe ich noch keinen 360 Grad Film gesehen der dieses Problem adressiert.
Problem 5 beim 360 Grad Video: Kosten
Zuletzt steht nur noch ein großer Elefant im Raum: der immense Berg an Kosten, den eine Hochwertige Produktion von 360 Grad Videos mit sich zieht.
Ähnlich wie 3D Filme ist der Kostendruck bei 360 Grad Video sehr hoch. Mehr Kameras, mehr Mikrofone, mehr Daten, Aufwendiges Stitchen der Einzelbilder, retuschieren der Lichter und der Stative. All das führt zu einem Mount Everest der Kosten, viel Höher als noch bei 3D, wo man “lächerliche” zwei Kameras stereoskopisch zusammensetzen musste.
Blogpost Main Image by: Bob Das